Samstag, 30. Dezember 2017

Aufruf zur Solidarität mit den Revoltierenden im Iran


Im Iran ist die im Jahr 1979 totalitär aufgezwungene Islamisierung darin gescheitert, aus den Iranern eine einzige „Partei Allahs“ zu machen, die Hezbollah, wie sie Ayatollah Khomeini noch inständig als heiligsten Staatszweck beschwor. Von jeder europäischen Delegation zum Zwecke des „kritischen Dialoges“, inklusive zuvorkommender Haarbedeckung der weiblichen Mitreisenden, bekommen die iranischen Kleriker mehr Hochachtung entgegengebracht als von der iranischen Jugend. In diesen Minuten rufen Protestierende in Qom, der heiligen Kapitale des Klerus und der einstigen Kanzel von Ayatollah Khomeini, Slogans, die unmissverständlich sind: „Wir wollen keine Islamische Republik“ und „Tod der Islamischen Republik“, „Nieder mit Rouhani“ und „Nieder mit dem Obersten Führer“ (Ali Khamenei, dem auch der Slogan „Tod dem Diktator“ gewidmet ist), „Tod der Hezbollah“ und „Die Kleriker (Akhund) müssen gehen“. Unter diesen und ähnlichen Rufen protestieren sie auch im kurdischen Kermanshah, im nordöstlichen Mashhad, in Isfahan, Shiraz und selbst noch im östlichen Zahedan.

Die deutsche Begründung, man stärke mit dem gepflegten „kritischen Dialog“ die Reformer gegenüber den Fundamentalisten, ist fraglos das Alibi der Komplizen. Aus der Zunahme des Auftragsvolumens für die deutsche oder französische Industrie folgt nicht eine Abnahme der Hinrichtungen – allerhöchstens, wie unter Mohammed Khatami, ein Moratorium über ihre bestialischste Variante, die Steinigung. Noch ignoranter ist es, diese Kumpanei damit zu legitimieren, dass Millionen von regimekritisch gesinnten Iranern den Kleriker Hassan Rouhani zum Staatspräsidenten gemacht hätten. Der als den „Reformern“ freundlich gesinnt geltende Rouhani ist nur das zartere Antlitz ein und desselben Bestie, die mild lächelnde Charaktermaske der iranisch-europäischen Kollaboration, die im beidseitigen Kalkül liegt. Und anders als noch im Jahr 2009 sind die „Reformer“ bei den gegenwärtigen Protesten im Iran nicht nur außen vor, die Slogans richten sich konkret auch gegen sie: in der Person von Hassan Rouhani.

Die mächtigsten Institutionen der Islamischen Republik, diese Apparatur zur systematischen Erniedrigung und Verächtlichmachung des Menschen, sind viel mehr zum Verzicht gezwungen, das repräsentative Amt des Staatspräsidenten direkt an eine der blutrünstigsten Figuren der Islamischen Republik zu übergeben. (Der Gegenkandidat zu Rouhani, Ebrahim Raisi, war im Jahr 1988 einer der vier Exekutoren jener Todeskommission, die den Mordbefehl von Ayatollah Khomeini – „Mitleid mit den Feinden des Islam ist Naivität. Zögern heißt das reine, unbefleckte Blut der Märtyrer zu ignorieren“ – gnadenlos an mehr als 4.000 inhaftierten Oppositionellen in Evin und Gohardasht ausführten.) Was den Fürsprechern des „kritischen Dialoges“ ein Moment demokratischer Teilhabe ist, haben scharfsinnige iranische Oppositionelle als Erpressung längst entlarvt, als taktisches Manöver von Ali Khamenei. Der als Reformer-nah geltende Rouhani war das Kalkül von Ali Khamenei, die Stabilität zu wahren und die von der Islamischen Republik entfremdete Jugend zu besänftigen. Seit der niedergedrückten Erhebung im Jahr 2009 und dem späteren Mandatsende von Mahmud Ahmadinejad galt der Umstand, dass die konservativen Prinzipalisten ihre Kandidaten unmöglich in das Amt des Staatspräsidenten hieven konnten, ohne die brüchige Stabilität zu riskieren; als auch das Verhängnis, dass jeder Protest im Schatten der Ausbalancierung der Rivalitäten zwischen den Staatsrackets verdammt ist zu scheitern. Die europäische Kollaborationspolitik macht aus diesem Dilemma den legitimatorischen Kitt ihres Appeasement. Der Slogan, der in diesen Minuten in Teheran zu hören ist: „Reformisten, Konservative, eure Zeit ist vorbei“, lässt keinen Zweifel daran, dass die Protestierenden dieser Tage eines nicht im Sinn haben: die Ehrenrettung der Islamischen Republik.  

Der „Stabilitätsanker“ Iran (Hassan Rouhani) ist allerhöchstens noch einer, weil die deutsch-europäische Beschwichtigungspolitik ihn zu einem macht. Sie ließ es zu, dass der Iran die befriedeten Teile Syriens als ihre inoffizielle „35. Provinz“ (Mullah Mehdi Taeb) einverleiben und den Irak weitflächig infiltrieren konnte. Auffällig in den vergangenen Tagen war auch, dass die alten Männer der iranischen Revolutionswächter sich als Hüter eines muslimischen Jerusalems rühmen, im Iran selbst aber es einzig das ewig gleiche Brüllvieh ist, dass für den Expansionsauftrag der „Islamischen Revolution“ krakeelt. Die „Tage des Zorns“ gingen an den Iranern vorbei und blieben auf die khomeinistischen Satelliten in Beirut, unter Führung der Hezbollah, und dem jemenitischen Sanaa beschränkt. Die Protestierenden in diesen Tagen dagegen fordern einen militärischen Rückzug aus Syrien sowie ein Ende der Finanzierung der Hamas und Hezbollah. Sie sind revolutionäre Hochverräter an der khomeinistischen Despotie. Was das deutsche „Auswärtige Amt“ bislang rigoros ignoriert, ist eine antiklerikale Brotrevolte gegen das islamistische Verelendungsregime, gegen die Tyrannei der Mullahs und ihre militärischen Aggressionen. Lassen wir die Revoltierenden nicht allein!

Donnerstag, 28. Dezember 2017

„Jerusalem ist unsere Ehre“ - über den antizionistischen Furor als projizierte Aggression


Der Antizionist ist keineswegs ein Staatskritiker, der sich in Israel verrannt hat. Viel mehr bestreitet er unbeirrt, dass Israel überhaupt ein Staat ist. Israel ist ihm ein „Brückenkopf“ imperialistischer Okkupation, ein „Präsent der Engländer“, eine „zionistische Entität“, ein „Staat aus der Retorte“, ein „kolonialer Fremdkörper“, ein „illegitimes Gebilde“, allenfalls ein „so genannter“ Staat. Eines der virulentesten Bilder, das seine Feinde von Israel haben, ist das des „Krebsgeschwüres“, das im arabischen Volkskörper wuchert. Ein Geschwür, das wild streut – so werden selbst kurdische Ambitionen auf Eigenstaatlichkeit von Saddam Hussein über Imam Khamenei bis zu Recep Tayyip Erdoğan als eine Erweiterung eines projizierten „Großisraels“ denunziert. Das Bild, welches der Antizionist von Israel hat, sagt in allen Variationen nur das eine: dass Israel eine einzige Verschwörung ist, ein „teuflischer Plot“, wie es der Iran der Ayatollahs zu sagen pflegt.

Das Gerücht über Israel ist das über die Juden. Wie sich an der projektiven Figur „des Juden“ die kapitalisierte Gattung ihr Gegenprinzip herausschält und das auf ihr Gebannte von sich selbst abspaltet*, so verfährt die durch Staat und Nation suspendierte Gattung mit Israel, dem „Juden unter den Staaten“. Die wahnverzerrte Logik des Antisemiten liegt darin, die Produktionssphäre als naturhaft und organisch anzunehmen, die Spekulationssphäre dagegen als wurzellos und somit „jüdisches Prinzip“ vom Kapitalverhältnis abzuspalten. Der Antizionist folgt derselben Logik der Naturalisierung von Staat und Kapital, indem er den Staat als organisches Gehäuse eines Volkes verabsolutiert und Israel dagegen als „Unstaat“ und „Fremdkörper“ aus der suspendierten Gattung exkommuniziert. An Israel verdrängt der Antizionist, dass kein Staat „aus sich selbst entsteht“, dass er das Produkt einer sich zentralisierenden Gewalt ist und nicht, wie von den Völkischen phantasiert, eine organische Einheit aus Blut und Boden.

Im Bild Israels, das der Antizionist notorisch beschwört, drückt sich doch sein eigenes Wesen aus. Die innerste Aggression des Antizionisten ist grenzenlose Besitznahme, sein ureigenes Gelüste ist die Unterwerfung der Anderen: „Die Türkei ist größer als die Türkei. Wir können nicht auf 780.000 Quadratkilometer beschränkt sein“, kündigte Recep Tayyip Erdoğan wiederholt territoriale Einverleibungen an. Jüngst drohte er im südtürkischen Karaman die nächste Aggression gegenüber Nordsyrien an, das sich seinem pseudo-imperialen Zugriff verweigert: „Wir werden Afrin von Terroristen säubern, wir werden Manbij von Terroristen säubern. Wir werden Tell Abyad, Ras al-Ayn und Qamishli von Terroristen säubern“. Und selbst noch auf einige kleinere griechische Ägäis-Inseln „mit unseren Moscheen in Rufweite“ schielt Erdoğan. Die Islamische Republik Iran hat mit ihrer Ausrufung 1979 damit begonnen, den Expansionsauftrag der ‚Islamischen Revolution‘ weit über die eigenen geografischen Grenzen hinaus zu definieren. Ganz offen steckt sie Syrien als ihre „35ste Provinz“ (Mullah Mehdi Taeb) ab, den Irak hat sie weitflächig infiltriert, im Libanon fungiert die loyale Hezbollah als Parallelstaat mit eigener Armee.

Die Türkei der Muslimbrüder und der Iran der Ayatollahs sind die aggressivsten Einpeitscher der in den vergangenen Tagen zum zornig sein Gerufenen. Und beide lassen keinen Zweifel daran, dass es nicht allein die Realität ist, in der Jerusalem Hauptstadt Israels ist, die sie nicht akzeptieren können. Sie akzeptieren überhaupt keinen Staat Israel, der als Emanzipationsgewalt der Juden fungiert. So orchestrierte Hassan Nasrallah, Führer der Hezbollah, in Beirut die größten Aufmärsche des antizionistischen Brüllviehs unter dem unmissverständlichen Heilsversprechen: „Tod Israels“. Es ist der selbst erklärte Staatszweck der Islamischen Republik Iran, Israel in Gänze zu vernichten. Der General der iranischen Revolutionswächter, Mohammad Ali Jafari, beschwört„Allahs Willen“, dass Jerusalem das Grab sein wird, wo das „zionistische Regime“ begraben wird.

Auf die Türkei und den Iran reduzierten sich lange jene Staaten in der Region, in denen der Hass auf Israel keine zentrale staatstragende Funktion besaß. Das änderte sich im Iran abrupt ab 1979 mit der „Islamischen Revolution“; in der Türkei dagegen schleichend. Durchziehen auch antijüdische Stereotypen neben den gewichtigeren antiarmenischen Schuldprojektionen und Verschwörungslegenden von jeher die türkische Ideologie, sind es vor allem die Muslimbrüder um Necmettin Erbakan, ideologischer Ziehvater Erdoğans, die aus dem Gerücht über die Juden jene Negativität speisten, an der sich die eigene Identität zu realisieren vermochte. Der völkische Mythos, den Erbakan erzählt, ist so wahnhaft wie variabel: Nachdem „unsere Vorväter“ – die türkische Fürstendynastie der Selçuklular, mit der im Jahr 1071 die Türkifizierung Anatoliens begann – die „zionistische Intrige“ der Kreuzzüge aufgehalten habe, so Erbakan, dürfe der Kabbala zufolge „kein souveräner Staat“ in Anatolien existieren. Israel ist also nicht nur ein Unstaat, er ist auch ein Staatenfeind. Das Anti-Volk – „Zionisten“, „Freimaurer“ und „Kommunisten“ sind für Erbakan Synonyme ein und derselben fleischgewordenen Verschwörung – hätte alle Völker zu Sklaven gemacht. „Einzig der Islam bleibt gegen sie. (…) Islam sagt, La ilâhe illallah. Wir werden vor niemanden außer vor Allah unser Haupt beugen.“

Erbakans erfolgreicherer Erbe, Staatspräsident Erdoğan, variiert die Synonyme für das Anti-Volk - „Zins-Lobby“, diejenigen, denen er in Davos gesagt habe: „one minute“, und so weiter -, um dann doch nicht eine mehr als explizite Vernichtungsdrohung auszulassen. In Ankara bezog sich Erdoğan jüngst auf einen antijüdischen Hadith: „Jene, die denken Jerusalem gehöre ihnen, sollten wissen, dass sie morgen sich nicht mehr hinter Bäumen verbergen können.“ In dem Hadith von Muslim ibn al-Hajjaj, der in Gänze in der Charta der Hamas zitiert wird, heißt es: „Die Stunde (am Tag des letzten Gerichts) wird nicht kommen, bis die Muslime gegen die Juden kämpfen. Die Muslime werden sie töten, bis sich der Jude hinter Stein und Baum verbirgt, und Stein und Baum sagen: 'Muslim, oh Diener Allahs! Da ist ein Jude hinter mir. Komme und töte ihn.“

Alles, was Erdoğan zu „Jerusalem“ zu sagen hat, sagt mehr über ihn aus als über Israel: Palästina als „unschuldiges Opfer“, der Judenstaat dagegen als „terroristisches Regime“ und „Kindermörder“. Der Aggressor spricht über sich selbst, wenn er das blutverschmierte Bild vom ganz Anderen aufrichtet. Die antisemitische Projektion hat ihren Ursprung nicht in einem Hadith oder in irgendeiner Sure – wenngleich sie auch von der Feindseligkeit der ersten Muslime zeugen. Sie hat einen logisch-historischen Ursprung, der eben nicht in eins fällt mit dem Ausritt Mohammeds nach Khaibar, jene von ihm unterworfene jüdische Oase unweit von Medina, die die antijüdische Rotte zum Gesang inspiriert: „Khaybar khaybar ya yahud jaish muhammad sa yahud" („Khaibar, Khaibar, oh ihr Juden, die Arme Mohammed kehrt wieder").

Zu einem ganz realen Geschwür metastasierte das Gerücht über die Juden noch in den Jahren vor der Gründung Israels 1948. Die Erben der osmanischen Konkursmasse waren mit einer Realität konfrontiert, in der der wiedererwachte Glaube an die Erhabenheit der arabischen Nation angesichts ihrer militärischen und ökonomischen Unterlegenheit gegenüber den imperialen Briten und Franzosen tagtäglich erschüttert wurde. Noch selbst verschuldetes Scheitern erlebten die Araber vom ersten Tag an als von außen Erzwungenes. Unfähig, das eigene Spiegelbild zu ertragen, verlor man sich in Opfermythen und Verschwörungslegenden. Die Existenz Israels wurde zur Projektionsfläche, an der jedes reflexives Moment exorziert wird. Sie wird schamlos funktionalisiert, das falsche Alibi dafür zu sein, die Modernisierung von Ökonomie und Staat nicht bewältigt zu haben. Unter allen Regimes installierte sich ein Erziehungsapparat, der den Reflex reizt, jede empirische Uneinigkeit als eine perfide Intrige von anderswoher wahrzunehmen. Noch in der Türkei, wo die Modernisierung teils gelang, ist die Krise von Staat und Ökonomie evident. Wo die eigene Staatlichkeit in genozidalen Morden und einer gnadenlosen Türkifizierung gründet, hat die pathische Projektion, die dem Gerücht über die Juden zugrunde liegt, staatstragenden Charakter.

Von der zionistischen Immigration nach Palästina, dieser zuvor wenig beachteten osmanischen Provinz, versprachen sich zunächst nicht wenige Araber ökonomische Prosperität. Vor allem in Ägypten liebäugelten die jungen Souveränisten der Hizb al-Wafd mit der zionistischen Idee. Das änderte sich im Schatten der Faschisierung Europas. Im Jahr 1928 gründete der charismatische Prediger Hassan al-Banna mit Weggefährten die al-Ikhwan al-Muslimin. Dieser schnell wachsende Männerbund agitierte vor allem Beamte des ägyptischen Staatsapparates sowie auffallend viele Ingenieure. Nicht nur in diesem Phänomen der Faschisierung der Kopfarbeiter ähnelten die Muslimbrüder ihren deutschen Verwandten, die sich in jenen Jahren dem Staat ermächtigten. Die Krise, so die Muslimbrüder, sei der Ökonomie nur äußerlich übergestülpt, sie sei viel mehr eine kulturelle Sinnkrise. Es seien Zins und Unmoral, die sie in die Produktion hineintrügen und als Nadelöhr kommunistischer Infiltration fungieren. Ägyptische Frauen, die ihren Schleier in jenen Tagen in den Nil warfen, erschütterten das islamische Patriarchat. Als militante Tugendwächter überfielen die Muslimbrüder die Sinnbilder moralischer Degeneration wie Kabaretts, terrorisierten unkeusche Frauen und vor allem jene, die sie für die rassische Ausgeburt kommunistischer Subversion, moralischer Korrumpierung und feministischem Aufbegehrens hielten: die ägyptischen Juden. Ihre Mobilisierung gegen die jüdische Immigration nach Palästina folgte aus ihrem Hass auf die Juden als falsche Personalisierung der auch in Ägypten hereinbrechenden krisenhaften Moderne. Das Gerücht, das die Muslimbrüder über die zionistischen Immigranten streuten, war dasselbe wie auch noch heute: die Zionisten hätten sich zur Zerstörung der al-Aksa-Moschee verschworen.

Zentrale Figur bei der antijüdischen Mobilisierung in Palästina war der Großmufti von Jerusalem: Mohammed Amin al-Husseini, der in großer Vorfreude den deutschen Nationalsozialisten 1933 zur Ermächtigung des ganzen Staates gratulierte und auf eine weitere Faschisierung Europas spekulierte. Im Jahr 1936 rief der Großmufti zur organisierten Intifada in Palästina auf. Unzählige judenfreundliche Araber wurden als Kollaborateure ermordet. Im Herbst 1941 floh der Großmufti aus dem Irak, wo ein prodeutscher Coup d'État scheiterte, in das Reich der mordbrennenden Deutschen. Zunächst residierte er in Berlin, später als persönlicher Gast Adolf Hitlers in der sächsischen Provinz. Von hier aus fabrizierte er im Auftrag des Auswärtigen Amtes arabischsprachiges Propagandamaterial für die deutsch-arabische Einigkeit bei der „heiligen Pflicht“, die Juden zu vernichten. Darüber hinaus war er mit der Organisierung vor allem bosnisch-muslimischer Legionäre für das Reich vertraut.

Amin al-Husseini überstand den 8. Mai 1945 bis auf einige turbulente Wochen der Flucht unbeschadet. Von nun an koordinierte er von Ägypten aus die Kampagne gegen die Immigration der Überlebenden der Shoah nach Palästina. Die Muslimbrüder ernannten ihn zu ihrem Ehrenvorsitzenden, ihr Führer Hassan al-Banna rühmte ihn als Übervater: „Der Mufti ist soviel wert wie eine ganze Nation. Der Mufti ist Palästina, und Palästina ist der Mufti. Oh Amin!“ Im Jahr 1946 gründeten die ägyptischen Muslimbrüder ihren palästinischen Zweig in Ostjerusalem, aus dem später die Hamas, arabisches Akronym für „Islamische Widerstandsbewegung“, hervorging. In der Gründungs-Charta der Hamas werden „die Juden“ - vom Staat Israel wird nicht gesprochen – als notorische Verschwörer charakterisiert, die mit der französischen sowie der kommunistischen Revolution die angestammte Ordnung in ihrem ganz eigenen Interesse umgewälzt hätten. Sie hätten das Kalifat beendet und die Muslime in eine dunkle Ära der Verirrung gestürzt. Nicht, dass irgendein Hadith das hergibt und so führt die Hamas die russischen „Protokolle“ an, jene vom zaristischen Polizeistaat verbrochene Hetzschrift, mit der im frühen zwanzigsten Jahrhundert die sozialrevolutionäre Bewegung als „jüdisch“ denunziert und zum Pogrom gerufen wurde. In der Türkei inspirierten die ägyptischen Muslimbrüder Necmettin Erbakan zur antilaizistischen Erweckungsbewegung Millî Görüş, die auch den jungen Agitator Erdoğan hervorbrachte. Erbakans Programm der Konterrevolution – die Zinsverteuflung, die Verherrlichung der Produktionssphäre und das Lob der Industrialisierung, die antijüdische Konkretisierung des Abstrakten – ist das der ägyptischen Muslimbrüder und ähnelt dem der deutschen Nationalsozialisten.

Das imperiale Erbe der Europäer war zweifelsohne kein Geschenk der Zivilisierung. Doch das Wesen antiimperialistischer Ideologie besteht nicht darin, die Entbarbarisierung gegen alle widrigen Umstände wahrmachen zu wollen. In letzter Konsequenz bestand der arabische Nationalismus vor allem in einer dezidierten Parteinahme für die deutsche Ideologie und gegen die – wenn auch beschränkten – Freiheitsmomente der Moderne. „Wir waren vom Nationalsozialismus fasziniert, lasen seine Schriften und die Urväter seines Denkens“, so ein syrischer Veteran der bis heute herrschenden Hizb al-Ba'ath, der „Partei der arabischen Wiedererstehung“.

Die Muslimbrüder, deren Zweige von Großbritannien bis nach Pakistan verästelt sind, eroberten nirgends die arabischen Staatswesen im Sturm oder scheiterten, wie in Ägypten unter Muhammad Mursi, nach nur einem Jahr. In Ägypten, Syrien und anderswo blieben sie ein mit den Regimes rivalisierendes Großracket, an den ihnen schwärzten Tagen wurden sie ins Exil gezwungen. Doch die arabischen Modernisierungsregime – von dem ägyptischen der „Freien Offiziere“ um Gamal Abdel Nasser, der die „Protokolle“ verteilen ließ, bis zu den syrischen und irakischen Diktaturen der Hizb al-Ba'ath, letztere richtete autochthone Juden als „Spione“ hin – waren geradezu verdammt dazu, in der antizionistischen Volksfront über die Krisen der Modernisierung zu täuschen. Unter ihnen installierten sich die repressivsten Erziehungsdiktaturen, die das Gerücht über die Juden ganzen Generationen einprügelten. Heute benennt die palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah und anderswo Straßen und zentrale Plätze nach dem „Märtyrer“ Saddam Hussein, der als wenig frommer Nationalist die irakischen Juden als inneren Feind verfolgte, später seine Rhetorik islamisierte und den Vernichtungsfeldzug gegen die kurdischen Abtrünnigen mit der Sure al-Anfal, „die Beute“, dekorierte. Es wird kaum zufällig sein, dass sein Gefolge später mit der irakischen al-Qaida zum „Islamischen Staat“ verschmolz.

Die religiös gemäßigteren bis säkularen palästinensischen Organisationen wie die Fatah oder die „Volksbefreiungsfront“ eint mit der Hamas die quasi-religiöse Anpreisung einer Nation, die den Märtyrertod zu begrüßen hat. Circa 300 Millionen Euro zahlte die Autonomiebehörde im Jahr 2016 an die Familien von „Märtyrern“ und solche, die daran gehindert wurden und in Israel inhaftiert sind, darunter Kindermörder. Für „Märtyrer“ aus Jerusalem gibt es einen Bonitätszuschlag. Es sind Imame der Autonomiebehörde, die tagtäglich den Märtyrertod glorifizieren und den Judenmord als Pfad ins Paradies beschwören. Der palästinensische Kritiker Bassam Tawil spricht zurecht von einer „dunklen Kultur von Mord und Tod“, gefördert auch von Imamen, die von Qatar und anderswo aus agitieren, sowie den „Kinderopfern“ einer zynisch kalkulierenden Autonomiebehörde. Generationen an Kindern lehren die Hamas und Fatah, dass es edel ist, für den Judenmord den eigenen Tod als Märtyrer auf sich zu nehmen. Der antizionistische Slogan „Freiheit für Palästina“ meint ganz offensichtlich keine Freiheit für die Palästinenser. Er meint selbstverständlich kein Plädoyer für eine Intifada gegen die Hamas, die Fatah und alle anderen Rackets, die den Palästinensern den Märtyrertod und somit die Verewigung ihres Elendes aufbürden. Nicht von ungefähr spricht „Freiheit für Palästina“ vom Namen einer früheren osmanischen Provinz und nicht von konkreten Menschen. Der Slogan heißt Empathie mit einem Apparat, der sich, so die Hamas in Berufung auf die Schrift von Hassan al-Banna, als „Todesindustrie“ rühmt. In der gleichnamigen Schrift aus dem Jahr 1938 verherrlicht der geistige Führer der Muslimbrüder die „Liebe zum Tod“ und das „edle“ Sterben für Allah.

Es ist schlichtweg eine Lüge, Palästina als Idylle zu zeichnen, in der nichts als Unschuld herrschte, bevor die Zionisten in sie einbrachen. Die arabische Nationalbewegung war von Anbeginn eine gegen Juden und das, was diese für die Judenhasser personifizierten: Aufklärung, Moderne, kommunistische Subversion und sexuelle Lust. „Die jüdischen Mädchen“, so Amin al-Husseini empörend, „demoralisieren unsere Jugend durch ihre bloße Anwesenheit“. Dass die arabischen Regime des al-Mukhabarat, der omnipräsenten politischen Polizei, aus sich heraus Paranoia provozierten, ist nur zu verständlich. Im Gerücht über die Juden kehrt sich diese in ihrer wahnwitzigsten Form nach außen. Selbst noch bei den Massenaufständen gegen Muammar al-Qaddhafi in Libyen oder Muhammad Husni Mubarak in Ägypten kursierten allerhand Karikaturen, auf denen die arabischen Despoten einen Davidstern trugen.

So virulent das Gerücht über die Juden auch ist, sagt die schwarze Prophetie eines „Flächenbrandes“, den europäische Politiker andauernd beschwören, doch mehr über die falschen Propheten aus als über die antizionistische Aufwallung der „arabischen Straße“. Bis auf in den iranischen Satelliten, in Beirut und im jemenitischen Sanaa, gerieten die „Tage des Zorns“ vor allem zu einem dumpfen Orchester neo-osmanischer Ambitionen der Türkei. Die türkischen Muslimbrüder der berüchtigten İHH, die „Anatolische Jugend“ in Tradition Erbakans sowie die kurdische Konterguerilla der Hezbollah riefen tagelang zum Empörungsspektakel mit Bühnenprogramm, bei dem auch ranghohe Funktionäre der Hamas und der kleineren palästinensischen Harakat al-Jihad al-Islami, originäre Muslimbrüder mit Begeisterung für Ayatollah Khomeini, auftraten. An anderen Tagen lädt die „Anatolische Jugend“ zu Gedächtnisabenden, an denen an die „Märtyrer-Imame“ und Vordenker der Muslimbrüder, Hassan al-Banna und Sayyid Qutb, sowie den Mitbegründer der Hamas, Ahmed Yassin, erinnert wird. Über den Rassenfeind schrieb Sayyid Qutb in einer seiner Schriften: „Allah hat Hitler gebracht, um über sie zu herrschen; (...) und Allah möge wieder solche bringen, die die Juden mit der grausigsten Art bestrafen; damit wird Allah sein eindeutiges Versprechen wahrmachen.“ Die Idole der neuen Türkei sind Judenmörder und die Vordenker der islamistischen Internationalen. Indessen wird in der nicht weniger sakralen Süper Lig auf den Rängen „Jerusalem ist unsere Ehre“ choreografiert – nachdem zuvor abwechselnd Aleppo, Rakka, Mosul und Kirkuk als die „Ehre der Türken“ galten.

Dass das deutsche (als auch das französische und britische) Europa eine Resolution befürwortet, die von dieser Türkei der Muslimbrüder bei den „Vereinten Nationen“ eingebracht wurde, ist der eigentliche Präventivschlag gegen jeden Frieden, der nicht mit Grabesruhe droht. Während seit Wochen eine deutsch-türkische Versöhnung herbeigesehnt wird – die Kollaboration hat nie geruht –, gilt in der türkischen Demokratie der Märtyrer nunmehr ein Dekret im Gesetzesrang, womit der Lynchmord an „Staatsfeinden“ legitimiert wird, und rüsten sich die paramilitärischen Rackets Grüner und Grauer Wölfe zum Kampf gegen die Abtrünnigen.

Die Lebenssituation für die Mehrheit der Palästinenser ist zweifelsohne bedrückend. Ihnen ist auferlegt, die Ehre nicht nur „aller Araber“, nunmehr auch „aller Muslime“ (allen voran „der Türken“) zu verkörpern – wobei sie in Syrien und dem Libanon einem Regime unterworfen sind, das sie zwingt, ewig Geflüchtete zu bleiben; ganz zu schweigen von Kuweit und dem Irak, wo sie als Kollektivstrafe für die Kollaboration Yasir Arafats mit Saddam Hussein herausgeprügelt wurden. Ganz offensichtlich misst sich ihr Wert einzig daran, das Menschenmaterial jener zu sein, deren antiisraelischer Wahn selbst nur projizierter Geltungsdrang ist. Es ist folglich systematische Verhöhnung, keine Solidarität, die Palästinenser darin zu bestärken, dass in dieser Instrumentalisierung ihre Erlösung aus dem Elend liegen könnte. Einzig in dem Abschütteln der Protagonisten jener dunklen Kultur aus Märtyrerglorifizierung und Judenmord könnten die Palästinenser zu jenen Israelis finden, denen das Verbrüderungsangebot aus der israelischen Unabhängigkeitserklärung nach wie vor gültig ist. Dass die jüngsten Aufrufe zur Intifada nicht ganz so viele Palästinenser überzeugt haben, dass nur zu viele sich vor ihren fatalen Konsequenzen fürchten, macht ein wenig Hoffnung, dass die Todesindustrie der Muslimbrüder kriselt. Solidarität mit einem freien Leben in Israel und Palästina hieße als erstes jene, die das Räderwerk der Märtyrerproduktion ölen, zu bekämpfen.

Und noch etwas macht Hoffnung: Im Nordosten und Osten des Irans, vor allem in Mashhad, erheben sich Tausende von Menschen gegen das islamistische Verelendungsregime. Ihre Slogans: „Ihr erwecktet den Islam zum Leben, aber uns machtet ihr bedürftig“ und „Weder Gaza noch der Libanon, unser Leben ist dem Iran gewidmet“.

* Die Spaltung der universalen Totalität des Kapitals in eine naturwüchsige Produktionssphäre und eine verschwörerische Spekulationssphäre ist zentrales Element antisemitischer Denkform. Der kapitalisierten Sozietät, die sich ihrer selbst nicht bewusst ist und innerhalb des selbstzweckhaften Autismus der Verwertung des Wertes rotiert, ist die Idee einer „Magie des Geldes“ (K. Marx) und ihrer Personifizierung inhärent. Sie produziert aus sich heraus jenes Anti-Subjekt, wonach sie verlangt, um ihre eigene Negativität auf ein Objekt zu bannen und folglich, wie der Priester den Teufel aus dem Besessenen, auszutreiben. Die „Verdinglichung der Tauschabstraktion im gemünzten Geld“ (A. Sohn-Rethel) tätigt jeder Einzelne in der Realabstraktion, er wird sich damit aber nicht der Sache bewusst, sondern sitzt dem Trug, der in der Form lauert, nur auf, verfällt dem Geldfetisch und ist geradezu von der „Magie des Geldes“ eingenommen. Die antisemitische Figur des Juden muss als Personifikation des Geldes, die die materielle Repräsentanz der Abstraktion ist, auch den fetischisierten Charakter des Geldes inkarnieren: universaler Geltungsdrang und dämonische Magie.
** Zur rassenlehrerischen Idiotie, Araber könnten als „Semiten“ unmöglich Antisemiten sein, sagt eine deutsche Anordnung aus dem Jahr 1943 bereits alles: Man möge der Bitte des Großmuftis nachkommen und fortan auf die positive Verwendung des Wortes Antisemit verzichten, um die Araber nicht auch nur in die Nähe der Juden zu rücken.

Freitag, 8. Dezember 2017

Solidarität mit Joanna Palani!


Gellerup im dänischen Aarhus ist so etwas wie das skandinavische Molenbeek. Über 30 junge Muslime sind allein von hier nach Syrien und in den Irak aufgebrochen, um „Ungläubige“ zu schlachten. Mit wenigen Ausnahmen gingen sie die Monate zuvor ein und aus in die Grimhøj-Moschee von Gellerup, ein quasi institutionalisierter Sub-Souverän in der ghettoisierten Hälfte des Aarhuser Distriktes Brabrand. In der Grimhøj-Moschee wird etwa die Steinigung bei Ehebruch propagiert. Drastische Strafen bewahre die Familie, die Elementarform des Staates, vor dem Zerfall, also vor dem drohenden Staatsbankrott. Müttern wird hier anempfohlen, ihre Kinder körperlich zu züchtigen, wenn sie nicht beten.

Die Grimhøj-Moschee und ihr charismatischer Führer Oussama El-Saadi sind heute zentraler Partner der dänischen Integrationspolitik. Da die jungen Ausreisenden durch die Predigten der Imame dieser Moschee gingen, so denkt es in der dänischen Ordnungspolitik, müsse man diese auch zur Institution einer erfolgversprechenden Präventionsstrategie machen und Oussama El-Saadi zur Schlüsselfigur. Der bärtige Agitator tut dabei nicht viel anderes als zuvor. Er ist einer jener Berufsfunktionäre, der nach wie vor – nun mit Absolution des dänischen Souveräns – die Saat der Unmündigkeit und der Opfermythen sät, aus der sich auch der jahrelang florierende Europa-Syrien-Express gespeist hat. Es sei die ehrenwerte und höchstens naive Auflehnung gegenüber „Ungerechtigkeit und Unterwerfung“, die junge Muslime zur Ausreise bewegt, so Oussama El-Saadi auch heute noch, also dazu: die Frauen der „Teufelsanbeter“ zu Sklaven zu machen, Morde an Homosexuellen, „Abtrünnigen“ und „Heuchlern“ als tägliche Reinigung des Staatskörpers zu begehen. In Wahrheit ist der Opfermythos nur die zwanghafte Einschachtelung der aggressiven Selbsterhöhung der Gläubigen, die weniger eine von Frömmigkeit ist als eine der Rotte, die Einheit vor allem negativ realisiert: im Neid auf jene, die die aufgezwungenen wie selbst gewählten Entbehrungen nicht teilen; im Hass auf jene, die noch irgendwie an die Möglichkeit von individuellem Glück erinnern; in der vernichtenden Rache an jenen, denen die Liebe zum Leben noch nicht genommen ist. Dass Aarhuser Präventionsmodell rühmt sich übrigens für seine Erfolge, die Auswanderungen nach Syrien nähmen ab – als läge es nicht daran, dass das Kalifat de-Facto nicht mehr existiert. Schwäche schreckt auch die Militantesten ab.

Es mag die kostengünstigere Elendsverwaltung zu sein, islamistischen Agitatoren wie den Imamen der Aarhuser Grimhøj-Moschee halbe Kommunen zu überlassen, damit diese eine halbseidene Garantie aussprechen, dass die tägliche Gewalt im „Ursprungsmilieu“ sich nicht nach außen wendet, also nicht auch blonde Dänen aus ihrer Idylle reißen könnte. Die Leidtragenden sind auch in Gellerup alle, die mit dem kulturalistisch verewigten „Ursprungsmilieu“ aus Imam und familiärer Despotie allein gelassen werden.

Joanna Palani dagegen bestrafte ein dänisches Gericht jüngst mit neun Monaten Freiheitsentzug dafür, dass sie im November 2014 nach Syrien und später in den Irak ausgereist war. Sie war keine Schülerin von Oussama El-Saadi, dem islamistischen Paten von Gellerup. Sie kämpfte in Kobane und anderswo gegen das Kalifat. Joanna Palani ist die Tochter kurdischer Geflüchteter, das als junges Mädchen aus dem Irak nach København kam. Sie ließ nie einen Zweifel daran, dass ihre Ausreise nicht der militanten Volkstumspflege als Exil-Kurdin diente – als welche häufiger die bewusste Entscheidung zu kämpfen denunziert wird –, viel mehr der Freiheit der Frauen und der Verteidigung des Lebens. Ihre Frontfotografien auf Instagram kommentierte sie lieber mit Zitaten von Marilyn Monroe als mit schmalzigen Liebesgrüßen an Blut und Boden: „If I ever let my head down, it will be just to admire my shoes.“