Montag, 21. Mai 2018

Flugschrift gegen die Gewerbefreiheit des Todes - In Solidarität mit Kazerun



Es ist ein historischer Tag“, umschrieb Frank-Walter Steinmeier mit dem 14. Juli 2015 jenen Tag, an dem die iranische Erpressung – Reduzierung der Urananreicherung gegen Business – auf Vertragspapier zur Geltung gebracht wurde. Als „historisch“ würdigten auch sein iranischer Amtskollege Mohammad Javad Zarif sowie die Funktionäre deutscher Industrieverbände den Tag. Von Ungeduld getrieben – die Ratifizierung dieser „historischen Einigung“ stand noch aus – reiste weniger als eine Woche später eine deutsche Delegation aus Politik und Industrie unter ministerialer Führung in den Iran. Die deutschen Gäste spekulierten auf ein rasant zu steigerndes Auftragsvolumen für die eigene Industrie, den Iranern dagegen trugen sie einen speziellen Auftrag zu: „Stabilisierungsfaktor in der Region“ zu werden. Im folgenden Jahr beehrte eine 120-köpfige Delegation der deutschen Industrie den Iran. Unter den Teilnehmern war auch die Karl Kolb GmbH & Co. KG. Der traditionsbewusste Mittelstand aus der hessischen Provinz akkumulierte über die Jahre eine herausragende Expertise in der Region. Unweit von Samarra im Zentralirak verhalf Karl Kolb über eine seiner Töchter in den 1980er Jahren dem Baʿth-Regime Saddam Husseins zu Labortechnik „Made in Germany“. Entlang des „Sauerkraut Boulevards“, wie Inspekteure der „Vereinten Nationen“ die Hauptstraße durch den irakischen Muthana-Industriekomplex aufgrund der unzähligen involvierten deutschen Ingenieure und Unternehmensvertreter nannten, wurden Tonnen von tödlichen Gasen produziert. Allein im kurdischen Halabja wurden am 16. März 1988 bis zu 5.000 Abtrünnige vergast.

Der Iran war in den 1970er Jahren nach den Vereinigten Staaten von Amerika der zweitgrößte Absatzmarkt für deutsche Produkte außerhalb Europas. Das allein kitzelt die Nostalgie deutscher Todeskrämer. Doch der khomeinistische Iran verfolgt – anders noch als das autoritäre Modernisierungsregime von Mohammad Reza Pahlavi – weniger die Erneuerung seiner maroden Infrastruktur und das technologische Upgrade seiner ruinösen Industrie. Sein Interesse an der „historischen Einigung“ liegt vielmehr darin, über die Wiedererlangung der zuvor eingefrorenen außerhalb des Irans liegenden Vermögenswerte sowie über den Absatz seines schwarzen Goldes den aggressiven Vorstoß an der Levante, im Irak und Jemen zu finanzieren.

Was die deutschen Charaktermasken aus Politik und Industrie schamlos „Investitionen“ in den Frieden nennen, ist dem faschistischen Souverän zuallererst die Finanzierungsgarantie für seine Tod bringende Expansion. Allein die Infiltrierung Syriens verschlingt Jahr für Jahr mehr als 15 Milliarden Dollar. Wer im Verbund mit dem Staatspräsidenten Hassan Rouhani in der Sanktionierung etwa der Finanzintermediäre der berüchtigten Saraya al-Quds, der „Jerusalem-Brigade“ der Revolutionswächter, sowie der libanesischen Hezbollah einen „historischen Fehler“ sieht, der favorisiert die khomeinistische Gewaltordnung über Syrien, den Irak und Jemen. Denn es sind nicht etwaige Sanktionen gegen die islamistischen Staatsrackets, die die Versorgung der Iraner mit Medikamenten und ähnliches erschweren. Es ist das mafiotische Akkumulationsregime der Khomeinisten selbst, das nur zu vielen Iranern das Gröbste verweigert, sie von den Wasserressourcen abschneidet, die rurale Peripherie dem Elend überlässt, die Lohntüte durchfrisst.

In diesen Tagen wird der Erhalt einer Despotie, deren heiligster Staatszweck die Annihilation Israels und deren konkretes Mittel der militärische Vorstoß zur Levante ist, zum schicksalshaften Auftrag deutsch-europäischer Friedenspolitik gemacht. Die „geschlossene Front“ der Kollaborateure mit dem khomeinistischen Iran, die der Ratspräsident der Europäischen Union Donald Tusk in diesen Tagen ausgerufen hat, ist vor allem ein Affront gegen die Menschen im Iran selbst. Das deutsche Auswärtige Amt hatte sich zu Beginn des Jahres solange über die überregionalen Massenproteste im Iran ausgeschwiegen, wie es nur möglich war. Als die Grabesruhe im Iran wieder zu herrschen schien, luden die Europäer Mohammad Javad Zarif, den Gesandten des Obersten Revolutionsführers, zum demonstrativen Schulterschluss nach Brüssel.

Doch die Proteste dauern nicht nur – in unterschiedlicher Intensität – bis heute an, sie blamieren auch gnadenlos die Lüge der europäischen Kollaborateure: dass das Business mit der khomeinistischen Despotie seine Friedhofsdividende auch über die Iraner ausschüttet. Die regimefeindlichen Iraner, die Ende des vergangenen Jahres die Grabesruhe durchbrochen haben, täuschen sich nicht darüber, dass mit ihr einzig die terroristische Aggression nach außen forciert wird. Sie fordern folglich den militärischen Abzug aus Syrien und ein Ende der Finanzierung der libanesischen Hezbollah und der palästinensischen Muslimbrüder der Hamas.

Der iranische Staatspräsident Hassan Rouhani sprach jüngst in Neyshabur (in der als konservativ geltenden Provinz Razavi Khorasan) über die „historische Reue“, die den US-Amerikanern droht, wenn sie die Beschwichtungspolitik der Europäer gegenüber dem Iran nicht mehr mittragen. Und von den „Zuhörern“ schlug es ihm entgegen: „Telegram, Telegram“. Der Messengerdienst Telegram wurde kürzlich auf Geheiß des Obersten Führers Ali Khamenei komplett gesperrt. Das Regime hat inzwischen mit „Soroush“ eine eigene Kommunikations-App, die als Emojis demütig verhüllte Frauen aufbietet, die Porträts vom Obersten Führer halten oder notorische Slogans wie „Tod Israel“ präsentieren. Während über 40 Millionen Iraner auf das kriminalisierte Telegram vertrauen, sind es bei der propagierten Regime-App Soroush nur 5 Millionen.

In Kazerun, in der südlichen Provinz Fars liegend, wird seit einigen Wochen wieder und wieder protestiert. Am 20. April wurde unter dem Slogan „Unser Feind ist hier, es ist eine Lüge, wenn Sie sagen, unser Feind ist Amerika“ die wöchentliche Khutbah-Predigt, die in der „Islamischen Republik“ die zentrale Institution der Agitation ist, verunmöglicht. Vor wenigen Tagen riefen die Protestierenden in Kazerun den Slogan „Ihr steht zu Gaza, aber uns verratet ihr“. Die Regimeschergen konterten mit gegossenem Blei, mehrere Protestierende wurden getötet. Seitdem haben sich die Proteste in Kazerun radikalisiert. Die Straße zur Moschee, wo die wöchentliche Khutbah-Predigt gehalten wird, ist abgeriegelt aus der Furcht, Protestierende könnten diese wie vor einigen Wochen kapern. Eine Filiale der mit den Pasdaran assoziierten Mehr Bank sowie Polizeistationen brannten nieder. Einer der Slogans, die gerufen werden, meint unmissverständlich das Ende der Islamischen Republik: „Nieder mit dem Vilayat-e Faqih“, der Befehlsgewalt des (Obersten) Rechtsgelehrten bis zum Austritt des okkulten zwölften Imams aus der Verborgenheit.

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